Die meisten von euch werden mir vermutlich zustimmen, wenn ich
sage, dass mehr Kraft für einen Athleten grundsätzlich von Vorteil ist. Der stärkere
Athlet sollte in der Regel mehr Potential haben, dass er verwenden kann. Aber gibt
es einen Punkt, an dem ein Sportler stark genug ist? Kraftsportarten wie Gewichtheben
oder Kraft Dreikampf etc. sind davon natürlich ausgenommen. Es geht mir um
Athleten, die Krafttraining als Werkzeug verwenden, um in ihrer eigentlichen
Sportart leistungsfähiger zu werden.
In meinen Augen gibt es einen Punkt, an dem ein Mehr an Kraft nur
noch einen sehr geringen oder teilweise vielleicht sogar gar keinen Übertrag
mehr auf die eigentliche Sportart hat. Wo genau dieser Punkt liegt, kann ich
natürlich nicht pauschal sagen, da er stark von der Sportart und dem
individuellen Athleten abhängig ist.
Grundsätzlich wird es für einen Sportler im Krafttraining immer schwieriger,
noch stärker zu werden, je besser er bereits trainiert ist. Für einen immer kleiner
werdenden Zugewinn an Kraft, muss er immer mehr Aufwand in das Krafttraining stecken.
Hier ein kleines Beispiel: Athlet A hebt beim Kreuzheben 100 kg.
Die Leistung dieses Athleten um 10 kg auf 110 kg zu steigern geht in der Regel
relativ schnell. Das wäre eine Leistungssteigerung um 10%. Der bereits fortgeschrittene
Athlet B hebt 200 kg beim Kreuzheben. Um dessen Leistung um 10 kg auf 210 kg zu
steigern bedarf es schon eines deutlich größeren Trainingspensums. Dabei hat er
seine Leistungsfähigkeit aber nur noch um 5% gesteigert. Auch werden sich die
10 kg Mehrleistung von Athlet A vermutlich deutlicher in seinem Sport bemerkbar
machen, als die 10 kg Mehrleistung bei Athlet B.
Die Zahlen im Beispiel dienen nur zur Veranschaulichung und
sollten nicht als Maßstab gesehen werden.
Jeder Athlet hat nur ein begrenztes Maß an Trainingszeit und
körperlicher Trainingskapazität zur Verfügung. Von daher sollte man sich genau
überlegen, wie man diese Kapazitäten bestmöglich nutzt, um den größten
Leistungsgewinn zu erzielen. Ich verwende in diesem Zusammenhang gerne die
Analogie mit den gefüllten Eimern. Stellt euch vor, jede Fähigkeit im Sport (Kraft,
Ausdauer, Koordination, Mobilität etc.) wird durch einen Eimer symbolisiert.
Diese Eimer sind unterschiedlich weit gefüllt. Wenn jetzt der Krafteimer bereits
fast bis zum Rand gefüllt ist, hat der Athlet nur noch wenig Spielraum diesen
weiter zu füllen. Der Ausdauereimer ist hingegen vielleicht noch fast leer. Das
Potential für Verbesserung in diesem Bereich ist dementsprechend noch deutlich
größer. Daher macht es in diesem Fall vermutlich Sinn, mehr Aufwand in die
Entwicklung der Ausdauer zu stecken und dabei gute Fortschritte zu machen,
anstatt immer mehr Aufwand in die Kraft zu investieren, bei immer geringer
werdendem Fortschritt. Ansonsten nimmt das Training der Kraft einen immer
größeren Teil der Trainingszeit ein und nimmt dadurch immer mehr Anteil von
allen anderen Trainingsinhalten weg.
Das Ziel sollte es meiner Meinung nach daher sein, die „lowest
hanging fruit“ zu finden. Also den Bereich in dem ich mit dem geringsten
Aufwand, den größten Fortschritt erzielen kann.
Menschen machen gerne das, worin sie gut sind. Das größte Verbesserungspotential
liegt allerdings oft in den Bereichen, die wir bisher vernachlässigt haben. Und
in vielen Fällen bewirken Verbesserungen in diesen Bereichen, auch eine Verbesserung
in den anderen Bereichen, da sie vielleicht die Schwachstelle war, die uns
bisher in allem Anderen zurückgehalten hat.
Ich möchte hier auf keinen Fall die Bedeutung von Krafttraining
kleinreden. Für mich ist es eine der wichtigsten Komponenten in der Entwicklung
von Athleten. Allerdings will ich euch den Denkanstoß geben, ob wir dem Sportler
tatsächlich einen Gefallen tun, wenn wir einfach nur versuchen, ihn so stark
wie möglich zu machen. Auch im Krafttraining lassen sich die Schwerpunkte je
nach Entwicklungsstand des Athleten unterschiedlich setzen, um dem Athleten das
bestmögliche Ergebnis zu ermöglichen. Je nachdem wo der Sportler steht, muss
dementsprechend auch das Krafttraining aussehen und die passenden Trainingsqualitäten
in den Vordergrund stellen.
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