Samstag, 13. Juni 2020

Wann ist ein Athlet stark genug?


Die meisten von euch werden mir vermutlich zustimmen, wenn ich sage, dass mehr Kraft für einen Athleten grundsätzlich von Vorteil ist. Der stärkere Athlet sollte in der Regel mehr Potential haben, dass er verwenden kann. Aber gibt es einen Punkt, an dem ein Sportler stark genug ist? Kraftsportarten wie Gewichtheben oder Kraft Dreikampf etc. sind davon natürlich ausgenommen. Es geht mir um Athleten, die Krafttraining als Werkzeug verwenden, um in ihrer eigentlichen Sportart leistungsfähiger zu werden.




In meinen Augen gibt es einen Punkt, an dem ein Mehr an Kraft nur noch einen sehr geringen oder teilweise vielleicht sogar gar keinen Übertrag mehr auf die eigentliche Sportart hat. Wo genau dieser Punkt liegt, kann ich natürlich nicht pauschal sagen, da er stark von der Sportart und dem individuellen Athleten abhängig ist.
Grundsätzlich wird es für einen Sportler im Krafttraining immer schwieriger, noch stärker zu werden, je besser er bereits trainiert ist. Für einen immer kleiner werdenden Zugewinn an Kraft, muss er immer mehr Aufwand in das Krafttraining stecken.

Hier ein kleines Beispiel: Athlet A hebt beim Kreuzheben 100 kg. Die Leistung dieses Athleten um 10 kg auf 110 kg zu steigern geht in der Regel relativ schnell. Das wäre eine Leistungssteigerung um 10%. Der bereits fortgeschrittene Athlet B hebt 200 kg beim Kreuzheben. Um dessen Leistung um 10 kg auf 210 kg zu steigern bedarf es schon eines deutlich größeren Trainingspensums. Dabei hat er seine Leistungsfähigkeit aber nur noch um 5% gesteigert. Auch werden sich die 10 kg Mehrleistung von Athlet A vermutlich deutlicher in seinem Sport bemerkbar machen, als die 10 kg Mehrleistung bei Athlet B.

Die Zahlen im Beispiel dienen nur zur Veranschaulichung und sollten nicht als Maßstab gesehen werden.

Jeder Athlet hat nur ein begrenztes Maß an Trainingszeit und körperlicher Trainingskapazität zur Verfügung. Von daher sollte man sich genau überlegen, wie man diese Kapazitäten bestmöglich nutzt, um den größten Leistungsgewinn zu erzielen. Ich verwende in diesem Zusammenhang gerne die Analogie mit den gefüllten Eimern. Stellt euch vor, jede Fähigkeit im Sport (Kraft, Ausdauer, Koordination, Mobilität etc.) wird durch einen Eimer symbolisiert. Diese Eimer sind unterschiedlich weit gefüllt. Wenn jetzt der Krafteimer bereits fast bis zum Rand gefüllt ist, hat der Athlet nur noch wenig Spielraum diesen weiter zu füllen. Der Ausdauereimer ist hingegen vielleicht noch fast leer. Das Potential für Verbesserung in diesem Bereich ist dementsprechend noch deutlich größer. Daher macht es in diesem Fall vermutlich Sinn, mehr Aufwand in die Entwicklung der Ausdauer zu stecken und dabei gute Fortschritte zu machen, anstatt immer mehr Aufwand in die Kraft zu investieren, bei immer geringer werdendem Fortschritt. Ansonsten nimmt das Training der Kraft einen immer größeren Teil der Trainingszeit ein und nimmt dadurch immer mehr Anteil von allen anderen Trainingsinhalten weg.



Das Ziel sollte es meiner Meinung nach daher sein, die „lowest hanging fruit“ zu finden. Also den Bereich in dem ich mit dem geringsten Aufwand, den größten Fortschritt erzielen kann.

Menschen machen gerne das, worin sie gut sind. Das größte Verbesserungspotential liegt allerdings oft in den Bereichen, die wir bisher vernachlässigt haben. Und in vielen Fällen bewirken Verbesserungen in diesen Bereichen, auch eine Verbesserung in den anderen Bereichen, da sie vielleicht die Schwachstelle war, die uns bisher in allem Anderen zurückgehalten hat.

Ich möchte hier auf keinen Fall die Bedeutung von Krafttraining kleinreden. Für mich ist es eine der wichtigsten Komponenten in der Entwicklung von Athleten. Allerdings will ich euch den Denkanstoß geben, ob wir dem Sportler tatsächlich einen Gefallen tun, wenn wir einfach nur versuchen, ihn so stark wie möglich zu machen. Auch im Krafttraining lassen sich die Schwerpunkte je nach Entwicklungsstand des Athleten unterschiedlich setzen, um dem Athleten das bestmögliche Ergebnis zu ermöglichen. Je nachdem wo der Sportler steht, muss dementsprechend auch das Krafttraining aussehen und die passenden Trainingsqualitäten in den Vordergrund stellen.

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