Montag, 29. September 2014

Das Problem mit frühzeitiger Spezialisierung auf eine Sportart

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Das ist nichts Neues. Auch unsere Kinder werden von diesen gesellschaftlichen Vorgaben immer früher erfasst.
Das trifft auch auf den Sport zu. Erfolgreich zu sein, nimmt bereits in jungen Jahren zum Teil absurde Züge an.
Da, wo eigentlich der Spass am Sport im Vordergrund stehen sollte, stehen inzwischen viel zu oft die Ergebnisse an erster Stelle. Kinder trainieren nach ähnlichen Programmen wie die Profis und alles wird auf die eine „richtige“ Sportart ausgelegt.
Besonders schlimm ist diese Situation in den USA, wo sportlicher Erfolg wichtig für ein Collegestipendium ist. Hier hängt viel Geld bzw. die schulische Karriere vom Erfolg im Sport ab. Aber auch bei uns nimmt diese Problematik immer weiter zu. Die Gründe hierfür sind vielfältig und teilweise nur schwer zu lösen. Aber fangen wir erstmal damit an, warum die frühzeitige Spezialisierung problematisch sein kann.



Das offensichtlichste Problem dabei ist der Spass und die Motivation der Kinder am Sport. Wer von seinen Eltern, Trainern etc. durchgehend zu Höchstleistungen angeschoben und gedrillt wird, verliert schnell die Lust am Sport und empfindet Training und Wettkampf nur noch als Belastung.
Anstatt also einen künftigen Topsportler zu „produzieren“, verlieren wir eine Menge Kinder komplett, da sie keine Lust mehr auf Sport jeglicher Art haben.

Außerdem verpassen wir durch zu frühe Spezialisierung eine wichtige Zeitspanne der körperlichen Entwicklung. In jungen Jahren lernt der Körper noch leicht neue Dinge. Das gilt auch für Bewegungsmuster und andere sportliche Fertigkeiten. Ziel sollte es daher sein, eine möglichst breite Basis an athletischen Fertigkeiten bei Kindern zu entwickeln. Dies funktioniert am einfachsten durch das Einwirken vieler verschiedener Reize, z. B. durch verschiedene Sportarten.
Die Sorge, dass dadurch wichtige Trainingszeit für die künftige Sportart auf der Strecke bleibt, ist unbegründet. Ein Kind mit vielseitigen athletischen Fertigkeiten kann diese auch später viel leichter auf andere sportliche Bereiche übertragen. Was andere Kinder vielleicht durch frühzeitiges Spezialisieren voraushaben, holen die vielseitiger ausgebildeten Kinder schnell auf. Jeder Coach weiß aus der Erfahrung heraus, dass ein guter Athlet einfacher zu coachen ist und Korrekturen schneller umsetzen kann.
Auf breiter Basis körperlich ausgebildete Kinder haben außerdem ein größeres Potential für zukünftige Entwicklung und erreichen erst später ihre Leistungsgrenzen.
Schaut man sich heutige Topathleten an, fällt auf, dass fast alle von ihnen zu ihrer Schulzeit gut in mehreren Sportarten waren und sich letztendlich für die Sportart entschieden haben, die ihnen entweder am besten gefiel oder in der sie am erfolgreichsten waren.

Aber auch ernsthafte körperliche Probleme können die Folge von zu frühzeitiger Spezialisierung sein. Viele Sportarten belasten den Körper auf einseitige Weise. Junge Körper sind hierfür jedoch oft nicht vorbereitet. Überlastungsverletzungen nehmen deshalb in letzter Zeit immer weiter zu.
Die Zahlen an Ellbogenoperationen bei Wurfathleten z. B. sind in den letzten Jahren durch die Decke gegangen.
Durch die Ausübung verschiedener Sportarten könnte dies häufig verhindert werden. Der Körper wird gleichmäßiger belastet und hat die Chance sich der Belastung anzupassen.

Kommen wir zu den Gründen dieser bedenklichen Entwicklung.

Vereine, gerade von kleineren Sportarten, stehen in hartem Konkurrenzkampf um die besten Athleten. Daher kämpfen sie frühzeitig um Nachwuchs und versuchen diesen so jung wie möglich an sich zu binden. Nur so kann sichergestellt werden, dass man die besten Athleten bekommt. Je älter die Kinder werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese bereits eine andere Sportart ausüben. Dann bleiben im Zweifel nur noch die „Überbleibsel“ übrig, welche vielleicht in anderen Sportarten nicht gut genug waren. Diese Strategie geht inzwischen so weit, dass die Saison mancher Sportarten bewusst so gelegt wird, dass andere Sportarten erst gar nicht in Frage kommen. Wer außerdem nach Saisonende eine weitere Sportart betreiben möchte, wird oft von Trainern und Teamkollegen schräg angeschaut, da er außerhalb der Saison im Training fehlt. Das wird oft als Trainingsfaulheit ausgelegt oder es heißt: „Dir ist das Team egal und du suchst dir nur das raus, was dir Spass macht.“ Nicht selten verspielt das Kind hierdurch seinen Platz in der Startaufstellung.

Aber auch Eltern sind in einigen Fällen nicht unschuldig an diesem Problem.
Wenn Eltern versuchen ihre eigenen Träume auf dem Rücken ihrer Kinder auszuleben, entstehen immer wieder unschöne Situationen. Dabei will ich hier keinem Elternteil die guten Intensionen absprechen, ihr Kind so gut wie möglich in ihrer Karriere zu unterstützen. Die Linie zwischen Unterstützung und dem Versuch seine Kinder zu ihrem Glück zu zwingen, ist fein. Manchmal benötigt ein Kind einen Schubs in die richtige Richtung und muss sich auch durch schwierigere Phasen durchkämpfen. Dies gehört zur Charakterentwicklung dazu. Auf der anderen Seite ist die Eigenmotivation des Kindes wichtig. Wenn das Kind nur noch versucht, den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden und die Unterstützung mehr als Zwang empfunden wird, ist die Linie überschritten.
Die Dokumentation “State of Play: Trophy Kids” zeigt das Problem sehr drastisch. Wer sich in den Eltern der hier gezeigten Kinder wiederfindet, sollte sein Verhalten sehr genau überdenken.

Letztendlich geht es darum, dass Kinder Spass am Sport haben. Je jünger die Kinder, desto mehr sollte der Spassfaktor dabei im Vordergrund stehen. Natürlich kommt irgendwann der Punkt, an dem es in Richtung Leistungssport geht. Dann ist die Spezialisierung wichtig und unvermeidlich. Wann diese Spezialisierung passieren sollte, lässt sich nicht pauschal sagen. Je nach Sportart und persönlicher Entwicklung eines Athleten variiert der Zeitrahmen um mehrere Jahre. Bei Turnern oder Eiskunstläufern z. B. ist eine frühzeitige Spezialisierung nicht zu vermeiden.
In anderen Sportarten, in denen die Leistungsspitze erst relativ spät erreicht wird, erfolgt die Spezialisierung jedoch viel zu oft zu früh.

Diese Entwicklung zu durchbrechen ist zugegebenermaßen nicht einfach. Das mindeste, was wir jedoch als Trainer dagegen machen können, ist das Training im Nachwuchsbereich abwechslungsreicher zu gestalten und vielfältige Reize zu setzen. Ein Training, gerade in der Offseason, muss nicht immer sportartspezifisch sein. Hier lässt sich viel variieren. Gleichzeitig haben die Kinder nach meiner Erfahrung auch immer viel Spass dabei, wenn sie im Training auch sportartfremde Beschäftigungen bekommen.
Mit fortschreitendem Alter bietet auch das Krafttraining Möglichkeiten, um für Abwechslung, Ausgleich von einseitiger Belastung und natürlich auch zur Leistungssteigerung beizutragen. Je weiter die Entwicklung in Richtung immer früherer Spezialisierung geht, desto wichtiger wird die Komponente eines durchdachten Krafttrainings dabei, um Verletzungen vorzubeugen und fehlende athletische Qualitäten zu entwickeln.

Ich hoffe, dass ich mit meinem Artikel zum Nachdenken anregen konnte und wir die Art und Weise, wie wir den Nachwuchssport betrachten, in die richtige Perspektive setzen können.

Eure Meinung zu dem Thema sowie mögliche Lösungsansätze interessieren mich sehr. Bitte schreibt hierzu einfach einen Kommentar am Ende des Artikels.

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